Unsere Projektreise nach Burkina Faso war zunächst gefährdet, denn für Ausländer besteht wegen Al Qaida Maghreb und krimineller Banden ein erhöhtes Entführungsrisiko im Norden des Landes. Auch wegen der politischen Situation in Mali, wo islamistische Terroristen seit Anfang 2013 ihr Unwesen treiben, rät das Auswärtige Amt von Reisen in einige grenznahe Provinzen dringend ab, darunter unsere Provinzen Sourou und Yatenga. Die Projektgemeinde Gomboro liegt nur 25 Kilometer von der malischen Grenze entfernt.
Ende des Jahres haben wir dennoch beschlossen, im Februar 2014 zu reisen – in der vagen Hoffnung auf eine Entspannung der Lage. In Burkina Faso angekommen, haben Jan Holtmeyer und ich zunächst die deutsche Botschaft aufgesucht. Dort zeigte man sich wenig erfreut über unsere Reisepläne in den Norden und riet zu einer bewaffneten Eskorte. Das allerdings ist kein preiswertes Vergnügen und für meinen Geschmack auch etwas übertrieben. Also haben wir uns wie gewohnt mit Dolmetscher und Fahrer auf den Weg gemacht, uns dabei so unauffällig wie eben möglich verhalten und sind schließlich unbeschadet in Gomboro angekommen.
In Gomboro erwarteten uns zunächst der Dorfchef und sein Ältestenrat. Diese formellen Begrüßungstreffen folgen einem festgelegten Protokoll, bei dem gute Wünsche ausgetauscht werden und der Chef idealerweise die Erlaubnis erteilt, dass die Gäste sich für die Aktivitäten frei im Dorf bewegen dürfen. Darauf folgte der Besuch beim neuen Bürgermeister von Gomboro, der seine Amtsgeschäfte erst kurz nach unserem letzten Besuch im Januar 2013 aufgenommen hatte. Dieses Treffen haben wir mit großer Spannung erwartet, denn es war nicht ganz klar, wie er zu unserer Zusammenarbeit steht und vor allem wie er über die Bekämpfung der Genitalverstümmelung denkt. Zu unserer großen Erleichterung stellte sich heraus, dass die Bevölkerung mit Monsieur Seydou Yaro einen modernen, klugen und für die Position überaus kompetenten Mann in die Führung ihrer Gemeinde gewählt hat.Neuer Bürgermeister von Gomboro bekräftigt Partnerschaft zum Mädchenschutz
Da unsere Aktivitäten bereits lange vor seinem Amtsantritt begonnen hatten, war dem Bürgermeister daran gelegen, mit allen Entscheidern und Zielgruppen gemeinsam unsere Zusammenarbeit und Pläne zu besprechen, um Missverständnissen und falschen Erwartungen vorzubeugen. Bei dieser Versammlung haben wir noch einmal deutlich betont, dass die Grundlage sämtlicher Maßnahmen der Schutz der Mädchen vor Genitalverstümmelung ist und unser Ansatz sowohl Prävention als auch strikte Strafverfolgung beinhaltet. Die Kindervorsorgeuntersuchungen als Präventionsmaßnahme und Kontrollinstrument werden vom Nationalen Rat gegen Genitalverstümmelung bislang noch immer abgelehnt. Wir haben den neuen Bürgermeister daher gebeten, uns bei der Lösung dieses politischen Problems zu helfen, denn eine konsequente Haltung zu Prävention und Repression von Verstümmelungstaten sind im Einklang mit der staatlichen Linie. Der Bürgermeister hatte kurz zuvor eine Informationsveranstaltung der Regierung für Gemeindevertreter besucht und zeigte sich nachhaltig erschüttert von der Brutalität und starken Verbreitung der Gewalt gegen die Mädchen seines Landes. Er verfasste ein Empfehlungsschreiben, in dem er die offizielle Partnerschaft von Gomboro und SAIDA bekräftigt und dabei den Schwerpunkt des Mädchenschutzes betont.
Gomboro freut sich über „genialsozial“-Förderung
Während unseres Besuches war besonders erfreulich, dass wir der Gemeinde von unserem Erfolg bei „genialsozial“ berichten konnten: „genialsozial“ heißt das Projekt der Sächsischen Jugend-stiftung, bei dem jedes Jahr Schülerinnen und Schüler in ganz Sachsen einen Tag im Juli bei Firmen oder Privatleuten arbeiten und ihren Verdienst für Bildung und Armutsbekämpfung spenden. Die Jugendjury hat unser Projekt im Januar mit Abstand auf den ersten Platz gewählt. Für SAIDA ist dieses Ergebnis ein Meilenstein, denn durch „genialsozial“ können wir mit einem Budget von rund 70.000 Euro einen Anbau an die Grundschule, ein (Aus-) Bildungszentrum, einen Vorschulkindergarten sowie eine chirurgische Ambulanz errichten. Begleitend werden einige Komposttoiletten gebaut, ein Schulgarten angelegt und je nach Budget die Gebäude für Solarstrom ausgerüstet.
Komitée für Baumaßnahmen eingesetzt und Bauland gefunden
Die große Versammlung mit dem Bürgermeister wurde auch genutzt, um ein Komitée einzusetzen für die Umsetzung der geplanten Baumaßnahmen. Bei der Besetzung haben wir immerhin eine 20 prozentige Frauenquote durchgesetzt, so dass im Komitée nun zwei Frauen ihre Interessen selbst vertreten können. Die Mitglieder leben alle in Gomboro und sind als Kleinbauern, Lehrer, Geburtshelfer und Verwaltungsmitarbeiter tätig.Sämtliche Bauarbeiten sollen von der Bevölkerung in Gomboro geleistet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die meisten Menschen Land zu bewirtschaften haben und insbesondere während der Erntezeiten nicht zur Verfügung stehen. Auch während der Regenzeit (meist von Juni bis Oktober) können Arbeiten häufig nicht planmäßig durchgeführt werden, weil die Straßen überschwemmt sind und die Baustellen im Schlamm nahezu versinken. Die Gemeinde leistet ebenfalls einen großen Beitrag zu diesem Projekt: Der Bürgermeister hat Bauland zur Verfügung gestellt, das wir bereits besichtigen konnten. Die Bevölkerung erbringt einen Teil der Arbeiten (wie zum Beispiel Erdaushub, Ziegel herstellen, Wasser bereitstellen) ehrenamtlich.
Wir werden in den kommenden Monaten mit Gomboro die genaue Planung in Angriff nehmen, denn es müssen zum Beispiel Baugenehmigungen eingeholt, Probebohrungen für Brunnen durchgeführt, Bauarbeiter und Fachkräfte angestellt werden, damit die Arbeiten nach der kommenden Regenzeit im November direkt losgehen können. Für die Bauleitung konnten wir einen deutschen Bauingenieur gewinnen: Walter Morlock sitzt im Vorstand der Sächsischen Jugendstiftung und wird ehrenamtlich für mehrere Monate die Bauarbeiten in Gomboro leiten. Walter Morlock hat bereits in den unterschiedlichsten Ländern gebaut und vor einigen Jahren auch ein Bauprojekt in Burkina Faso geleitet. Diese Erfahrung wird dabei helfen, einen zügigen Projektfortschritt zu sichern. Die Vertragsunterzeichnung für die „genialsozial“-Förderung wird voraussichtlich im Oktober stattfinden und dann werden auch die ersten Mittel ausgezahlt, so dass die Bauarbeiten im November starten können. Bei einer großzügigen Planung können die Gebäude im Herbst 2015 eingeweiht werden.
(Aus-) Bildungszentrum für Erwachsene und Jugendliche
Das geplante Bildungszentrum, das wir mit Hilfe der „genialsozial“-Förderung bauen können, wird gleich mehrere wichtige Funktionen erfüllen. Zum einen wird es endlich einen festen Raum für die einkommenschaffenden Aktivitäten der Frauen geben, an dem auch Materialien und Geräte dauerhaft untergebracht werden können. Zum anderen wird es formale Berufsausbildung für die vielen arbeitslosen Jugendlichen der Gemeinde und der Region geben. Die Jugendlichen sollen zum Beispiel als Schreiner/in, Weber/in und Schneider/in ausgebildet werden. Bei der nötigen Genehmigung durch Behörden, Prüfungsfragen und Formalien hilft unser Dolmetscher und Supervisor Philippe Mahama Nikiéma, der in der Hauptstadt Ouagadougou lebt und arbeitet. Monsieur Nikiéma, der in Deutschland studiert hat, ist Vorsitzender der burkinisch-deutschen Freundschaftsgesellschaft und leitet in Ouagadougou eine Organisation für Handwerksbetriebe, die eng mit den Handwerkskammern arbeitet – also eine ideale Besetzung für uns.
Das Bildungszentrum bietet Raum für die Alphabetisierungskurse, die zuvor an wechselnden Orten stattfinden mussten. Es soll darüber hinaus als Anlaufstelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsende mit unterschiedlichsten Fragen und Problemen dienen. Das Informationsangebot wird regelmäßige Veranstaltungen zu Themen wie Hygiene, Säuglingspflege, Prophylaxe von Malaria und sexuell übertragbaren Krankheiten, Verhütung und nicht zuletzt Menschenrechtsfragen umfassen. Der engagierte Geburtshelfer von Gomboro steht zum Beispiel für Seminare zu sexueller und reproduktiver Gesundheit zur Verfügung, die er methodisch auch an jene großen Zielgruppen anpasst, die weder lesen und schreiben können noch Französisch sprechen.
Hilfe für Schwangere: Chirurgische Ambulanz
Eine andere wichtige Maßnahme, die wir mit den „genialsozial“-Mitteln umsetzen können, ist der Bau einer chirurgischen Ambulanz, die an die bestehende Gesundheitsstation ange-gliedert wird. Hier wird ein Vertragsarzt den von der Verstümmelung schwer geschädigten Frauen bei der Entbindung helfen und auch Kaiserschnitte vornehmen können. Burkina Faso gehört zu den Ländern mit der höchsten Mütter-sterblichkeit weltweit, was an den Verstümmelungsfolgen, zu frühen Schwangerschaften und zu wenig professioneller Geburtshilfe und medizinischer Versorgung liegt.
Der Geburtshelfer bestätigte uns, dass es viele extrem schwere Geburten gibt, häufige Todesfälle und schwerwiegende Entbindungsfolgen, wie z.B. Inkontinenz nach Fistelbildung. Manche Familien holen gar keine Hilfe und die Frauen verbluten zuhause oder sie werden auf ein Moped geschnallt und über die Erdpiste in die nächste Provinzklinik gefahren. Diese Qualen sollen den Frauen durch die chirurgische Ambulanz erspart bleiben.
Unser Vereinsmitglied Dr. Thilo Schwalenberg, der als Chirurg in Deutschland auf urogenitale Erkrankungen spezialisiert ist, wird dabei Schulungen für burkinische Mediziner durchzuführen. Die geplante chirurgische Ambulanz mit einem Operations- und Behandlungsraum, einem sterilen Raum für OP-Materialien und zwei Krankenzimmern wird darüber hinaus auch allen anderen Patienten offen stehen. Für die konstante Energieversorgung für Kühlschrank, Licht und Geräte in der Ambulanz wird eine Solarstromanlage auf dem Dach installiert.Krankenversicherung für Kinder in Gomboro
Während der großen Versammlung mit dem Bürgermeister wurden viele gute Ideen gesammelt. Eine besonders gute hat der Schulinspektor vorgestellt: eine Krankenversicherung für Kinder! Kranke oder verunfallte Kinder werden aus Angst vor den Behandlungskosten häufig erst zu spät oder gar nicht in die Gesundheitsstation gebracht. Der Schulinspektor hat gemeinsam mit dem Verantwortlichen der Gesundheitsstation veranschlagt, dass die Eltern pro Jahr 12 Euro einzahlen müssten, um im Bedarfsfall Medikamente und Behandlung zu finanzieren. Damit die Einführung der Kinderkrankenversicherung noch dieses Jahr gelingen kann, wollen wir die Hälfte des Jahresbeitrags für die ersten 500 angemeldeten Kinder übernehmen, das heißt 3.000 Euro. Sie können diese fortschrittliche soziale Initiative der Gemeinde direkt unterstützen und die Krankenversicherung für ein Kind übernehmen.
Grundschulkinder noch besser fördern
Die Grundschulbildung fördern wir in Gomboro ja seit Beginn unserer Partnerschaft, etwa mit Schulbänken, Materialien und einem Bildungsfonds. Durch die Fördersumme von „genialsozial“ können wir aber einen großen Schritt weitergehen und „École A“, deren Räume völlig überfüllt sind, einen Anbau mit zwei neuen Klassenräumen samt Einrichtung für 80 Kinder bauen. „École B“ wiederum hat nicht mit einem Platzproblem zu kämpfen, muss aber bislang ohne Wasserzugang auskommen. Dieses Problem lösen wir, indem das Bildungszentrum auf der angrenzenden Parzelle errichtet wird und beide Einrichtungen gemeinsam den neuen Brunnen nutzen können.
Auch die Ernährungslage der Grundschulkinder muss weiter verbessert werden, denn das Schulessen ist nicht reichhaltig genug. Der Staat stellt den Schulen lediglich Getreidevorräte für vier Monate zur Verfügung, das Schuljahr ist aber neun Monate lang. Die Vorräte von „École B“ etwa waren im Februar sehr überschaubar und das Schulessen kann nur sichergestellt werden, wenn der Schulleiter die ohnehin armen Eltern regelmäßig auffordert, becherweise Getreide zu bringen.
Schutz und Förderung für die Kleinsten: der Vorschulkindergarten
Parallel zu den anderen Arbeiten soll im November dieses Jahres auch der Bau des ersten Vorschulkindergartens beginnen. Der Vorschulkindergarten ist wichtig, weil die Eltern so bereits eng in unsere Mädchenschutzarbeit eingebunden werden können und sich zur Einhaltung der Landesgesetze zum Schutz der Kinder verpflichten. Die Kleinsten werden auch Schritt für Schritt an eine Lernsituation herangeführt und können die erste Klasse später besser meistern, denn der Schulalltag in Burkina Faso verlangt den Kindern sehr viel Disziplin ab. Außerdem bietet der Kindergarten mehrere Arbeitsplätze als Erzieherin und Köchin für die Frauen in Gomboro und eignet sich auch als Praxisstation, um im Ausbildungszentrum ab 2016 den Beruf Erzieher/in anbieten zu können.
Die Förderung durch „genialsozial“ bedeutet auch, dass wir einen deutlich höheren Betrag an Spenden erreichen müssen, um unseren vorgeschriebenen Eigenanteil von rund 7.000 Euro an den Baukosten und später die Betriebskosten von jährlich etwa 12.000 Euro aufbringen zu können. Bitte zögern Sie also nicht, diese wichtigen sozialen Initiativen mit Ihrer Spende zu ermöglichen.
Fotos: © Simone Schwarz 2014