Motiv für die Genitalverstümmelung
"Genitalverstümmelung ist ein Versuch, Frauen eine untergeordnete Stellung zuzuweisen, indem man sie mit diesem Stigma versieht, das sie herabsetzt und ständig daran erinnert, dass sie nur Frauen sind, dass sie nicht einmal das Recht über ihren eigenen Körper haben oder auf körperliche und persönliche Erfüllung."
Thomas Sankara hat sich als Präsident von Burkina Faso für die Rechte von Frauen stark gemacht und sie als die Basis für gesellschaftliche Entwicklung gesehen. Als erster afrikanischer Staatschef hat er die Verstümmelungsgewalt auf die politische Agenda gesetzt und ihr Motiv klar benannt.
Nährboden für diese Gewalt ist ein gesellschaftliches Klima, in dem Frauen als Eigentum und Handelsware betrachtet werden und männliche Machtansprüche durch Drohungen und Akte direkter Gewalt gefestigt werden. Um Gewalt solchen Ausmaßes über einen langen Zeitraum hinweg aufrecht erhalten zu können, ist eine ideologische Rechtfertigung sowohl Voraussetzung als auch wichtiges Instrument. Je nach Ethnie und Region variieren die Rechtfertigungen für die Genitalverstümmelung der Mädchen:
- Die Familienehre wird an die Sexualität der Töchter geknüpft und da die weibliche Libido als zügellos betrachtet wird, muss sie kontrolliert werden. Die Verstümmelung der Genitalien soll sicherstellen, dass die Mädchen kein Interesse an vorehelichem Geschlechtsverkehr haben und nicht schwanger werden. Ein Mädchen, dessen "Jungfräulichkeit" und Keuschheit in Zweifel stehen, ist schlicht nicht heiratsfähig. In Interviews geben Frauen häufig an, dass die Verstümmelung ihrer Genitalien wiederum dem Lustgewinn des zukünftigen Ehemannes dienen solle.
- Häufig wird die Genitalverstümmelung als religiöse Pflicht verbrämt. Nur wenige religiöse Führer verurteilen diese Gewalt, manche überlassen ihre Ausübung der individuellen Entscheidung, aber die meisten nutzen ihre Autorität, um offen für die Fortführung dieser Praktiken zu plädieren.
- In den praktizierenden Gesellschaften wird Genitalverstümmelung zudem als unumgängliche Tradition benannt, die etwa zur Befriedigung der Ahnen fortgeführt werden müsse.
- Oft wird die Praktik mit ästhetischen Vorstellungen gerechtfertigt: Mädchen gelten als "rein" und "schön", wenn Körperteile entfernt werden, die als "männlich" oder "unrein" gelten. Weibliche Geschlechtsteile müssten entfernt werden, weil sie hässlich seien, schlechte Gerüche verbreiteten oder unendlich wachsen würden.
- Es kursieren medizinische Mythen, wie z.B die Klitoris töte das Kind bei der Entbindung und mache den Mann unfruchtbar oder die Verstümmelung erleichtere die Geburt und erhöhe die weibliche Fruchtbarkeit.
Die Liste dieser austauschbaren Mythen, die zur Rechtfertigung der Gewalt benutzt werden, lässt sich beliebig fortsetzen. Deutlich wird, dass die Verfechter der Genitalverstümmelung eine Drohkulisse errichten: Familien oder Mädchen, die sich der Tradition nicht mehr beugen wollen, sehen sich sozialen Sanktionen ausgesetzt, die ineinander verwoben sind. Die Familie wird gemieden, die Mädchen sind nicht heiratsfähig und bringen die Familie somit um den "Brautpreis", die Mädchen können ihren sozialen Status nicht durch die Geburt ehelicher Kinder verbessern, sie werden als Prostituierte beschimpft, man nimmt kein Essen von ihnen an, schreibt ihnen Missernten und vergiftete Brunnen zu, beerdigt sie schließlich halbnackt und "in Schande". So zeigt allein die Androhung dieser schweren Sanktionen Wirkung bei der Aufrechterhaltung der Verstümmelungsgewalt.