Persönliche Geschichten von Betroffenen
„The Hosken Report“, verfasst von Fran P. Hosken und erstmals 1979 vom Women’s International Network News veröffentlicht, lässt sich als das Standardwerk zur weiblichen Genitalverstümmelung bezeichnen – wenngleich nur noch antiquarisch erhältlich. Auf den 448 Seiten finden sich neben historischem Hintergrund und Statistiken auch persönliche Geschichten von Überlebenden, Angehörigen und Täterinnen. Die Grausamkeit dieser Praktik spiegelt sich in ihren Berichten wider. Um das wahre Gesicht dieser Praktik und ihrer realen Folgen zu zeigen, präsentiert SAIDA nachfolgend einige eindrucksvolle Zitate aus der dritten Auflage von 1993. Die Originalzitate finden Sie auf unserer englischen Website.
Eine sudanesische Frau erzählt wie die Infibulation sie unfruchtbar machte:
"Ich wurde infibuliert, als ich fünf Jahre alt war. Es schmerzte so sehr, dass ich weinte und weinte. Als ich fast zwölf war, untersuchten mich meine Tanten. Sie erklärten mir, dass ich nicht ausreichend verschlossen war und brachten mich zur Hebamme, die ein paar Straßen weiter wohnte. Als ich bemerkte, wohin sie mich brachten, versuchte ich wegzulaufen, aber sie hielten mich fest und zerrten mich in das Haus der Hebamme. Ich schrie um Hilfe und versuchte mich zu befreien, doch ich war nicht stark genug. Sie hielten mich fest und stopften mir den Mund mit einem Tuch, damit ich nicht schreien konnte. Dann haben sie mich wieder beschnitten; und diesmal sorgte die Frau, die mich operierte, dafür, dass ich verschlossen war.
Ich weiß nicht, wie viele Tage ich dort lag. Der Schmerz war schrecklich. Ich war gefesselt und konnte mich nicht bewegen. Ich konnte nicht urinieren, mein Magen schwoll an. Mir wurde ganz heiß und später zitterte ich wieder vor Kälte. Dann kam die Hebamme wieder. Ich schrie so laut ich nur konnte, da ich dachte, sie würden mich wieder beschneiden. Dann verlor ich das Bewusstsein. Ich wachte in einer Krankenstation auf. Ich war verängstigt; ich wusste nicht wo ich war. Ich hatte schreckliche Schmerzen; mein Genitalbereich war angeschwollen und tat weh. Später wurde mir gesagt, dass die Infibulation aufgeschnitten wurde, um Urin und Eiter abzulassen. Ich war furchtbar schwach und alles war mir egal. Ich wollte sterben.
Heute, Jahre später, sagten mir die Ärzte, dass ich wegen der Infibulation niemals Kinder bekommen könnte. Deshalb wird niemand mich heiraten; niemand will eine Frau, die kein Kind haben kann. Ich sitze allein zu Hause und weine viel. Ich sehe meine Mutter und meine Tanten an und frage sie: "Warum hast du mir das angetan?"
(Fran P. Hosken: The Hosken Report – Genital and sexual mutilation of females. Winnews, 1993, S. 108)
Ein Lehrer aus Westafrika beklagt den Tod seiner Schwester in Folge ihrer Genitalverstümmelung:
"Dem Brauch nach werden Mädchen im Alter von 18 Jahren, wenn sie heiraten wollen, beschnitten. Es wurde also Zeit für die Beschneidung meiner Schwester. Eines Tages, sehr früh am Morgen, wurde meine Schwester zusammen mit anderen Mädchen aus dem Dorf an den Ort gebracht, an dem diese Prozeduren normalerweise durchgeführt werden. Nach einiger Zeit kam eine der alten Frauen, die sich um die Operationen kümmern zu uns und sagte, dass es Komplikationen gäbe. Die anderen Mädchen waren bereits, begleitet von großem Tamtam, zurück ins Dorf gekommen. In unserem Kulturkreis ist die Beschneidung Anlass für ein großes Fest, bei dem die Eltern des Mädchens und die Eltern des Jungen, dem das Mädchen versprochen wurde, keine Kosten scheuen. Am Abend wurde meine Schwester sehr krank in unser Haus zurückgebracht. Wir riefen den Medizinmann, der versuchte die Blutung von der Operation zu stoppen. Meine Schwester blutete die ganze Nacht durch. Die Nachricht verbreitete sich im Dorf, und alle waren besorgt, da sie die Älteste ihrer Gruppe war und der Zwischenfall das Fest ruinierte. Am Morgen nach dieser schmerzreichen Nacht starb sie. Meine Mutter, die ihr elftes Kind verloren hatte, brach zusammen und wollte sich umbringen. Wir mussten sie einen Monat überwachen, um sie davon abzuhalten Selbstmord zu begehen. Auch heute, nach vielen Jahren, spricht sie mit mir darüber. In den umliegenden Dörfern verbreitete sich die Nachricht vom Tod meiner Schwester, weil mein Vater Dorfvorsteher war. Seitdem hat die Beschneidung, die früher einen wichtigen Anlass darstellte, um Reichtum und sozialen Status zu demonstrieren, in der gesamten Region ihr Ansehen verloren. Vor meiner Schwester starben bereits andere Mädchen an der Beschneidung, aber aufgrund der Stellung meines Vaters und der Beliebtheit meiner Schwester, ließ ihr tragischer und unnötiger Tod die Menschen in der ganzen Region die Gefahr dieser Operation erkennen. Beschneidungen sind zwar noch nicht aus unserer Gegend verschwunden, aber sie haben die Magie früherer Zeiten verloren. Ich möchte nicht, dass andere ihre geliebte Schwester oder Tochter auf diese schreckliche Weise verlieren, wie eine schöne Blume, die ohne Grund zerstört wurde. "
(Fran P. Hosken: The Hosken Report – Genital and sexual mutilation of females. Winnews, 1993, S. 189)
Die Beschneiderin, Alhaji Jimoh Ala-Bede, rechtfertigt die Genitalverstümmelung:
"Beschneidung ist der traditionelle Beruf in meiner Familie. Mit dem Erlös aus der Beschneidung habe ich zwei Häuser gebaut und meine Kinder besuchen die Schule.
Die Beschneidung von Mädchen betreffend: Unsere Vorfahren haben daran geglaubt und wir müssen der Tradition folgen. Schadet es dem weiblichen Organ? Meiner Meinung nach ist es nicht schädlich. Sogar der Koran unterstützt die Beschneidung für Männer, ebenso wie für Frauen. "
(Fran P. Hosken: The Hosken Report – Genital and sexual mutilation of females. Winnews, 1993, S. 197)
Eine Frau aus Mali berichtet von ihrer aussichtslosen Suche nach einem Arzt:
"Ich habe keine Erinnerung an meine eigene Exzision und Infibulation, da ich operiert wurde, als ich sehr jung war. Ich wurde mir dessen erst als Zwanzigjährige bewusst, kurz vor meiner Hochzeit. Ich habe in einem traditionellen Umfeld gelebt, in dem Sex und Sexualität tabu waren. Als ich merkte, dass ich beschnitten und infibuliert war, war ich entsetzt. Ich machte mir Gedanken was zu tun war. Ich würde nicht erlauben am Tag meiner Hochzeit mit einem Messer geöffnet zu werden, wie es der Brauch will... Ich wollte die Operation in einem Krankenhaus machen lassen. Ich ging zu einigen Ärzten. Doch jedes Mal wurde meine Anfrage abgelehnt. Jeder, den ich fragte, war gegen diese Operation. Die im Krankenhaus sahen mich an, als ob ich verrückt wäre. Einer der Ärzte sagte mir: "Du willst ein ausschweifendes Leben führen, und dafür fragst du nach meiner Komplizenschaft?" Er warf mich fast aus seinem Büro. Ich wurde von Tag zu Tag wütender und frustrierter... Der Tag meiner Hochzeit kam immer näher. Meine Chancen, dem Messer zu entkommen, wurden immer geringer. Schließlich, am Abend meiner Hochzeit, musste ich mich fügen und mein Unglück erleiden. "
(Fran P. Hosken: The Hosken Report – Genital and sexual mutilation of females. Winnews, 1993, S. 218)
Eine sudanesische Lehramtsabsolventin in München schildert ihre Erlebnisse in einem anonymen Brief:
“Ich wurde verschlossen, nachdem ich im Alter von 10 Jahren beschnitten wurde. Die Daya die dies tat war eine alte Frau und hat mich eng zugenäht. Ich blieb drei Wochen lang in meinem Bett. Frauen sagen, dass umso enger die Braut zugenäht ist, desto mehr wird ihr Ehemann sie lieben. Wenn du zugenäht, verschlossen bist, ist es so als wärst du in einem Gefängnis in dir selbst.
Ich wurde ins Ausland geschickt und hörte von deutschen Mädchen von den Freuden der Liebe. Ich konnte mich nicht einmal selbst berühren. Kein Gefühl ist mir übriggeblieben, das Tor ist geschlossen. So wird sichergestellt, dass die Frau noch Jungfrau ist, wenn sie verheiratet wird. Ich bin seit drei Jahren verheiratet und habe eine Tochter. Meine Tanten wollen, dass sie so wie ich beschnitten und verschlossen wird. Mein Ehemann sagt, dass türkische Ärzte hier in Deutschland die Operation ohne Schmerzen und Komplikationen durchführen. Es kostet 1000 DM und man sollte es machen bevor sie zwei Jahre alt ist, damit sie sich nicht daran erinnern kann. Mein Ehemann sagt, entweder jetzt oder später, wenn es schmerzhafter ist. Sonst wird niemand sie heiraten. In wenigen Wochen bringen wir meine Tochter, die jetzt zwei Jahre alt ist, zu einem Arzt um beschnitten und verschlossen zu werden. Es ist unmöglich wieder in Darfur zu leben, wenn unser Mädchen nicht beschnitten ist.
Du hast Freude und Lust, wenn du deinen Ehemann liebst. Wir haben nichts. Das Messer nimmt dir alles. Was einmal weggeschnitten ist, wächst nicht nach.“
(Fran P. Hosken: The Hosken Report – Genital and sexual mutilation of females. Winnews, 1993, S. 311)