Situation in Europa
Durch Migration verbreitet sich die Genitalverstümmelung auch in Amerika, Australien und Europa. In Europa leben über 600.000 betroffene Frauen und Mädchen, etwa 190.000 minderjährige Mädchen gelten als akut gefährdet (siehe EndFGM European Network). Allein in Deutschland leben nach Schätzung von SAIDA (Stand: 2022) etwa 102.000 betroffene Frauen und gefährdete Mädchen. Auf diese Herausforderung für die Rechtssysteme reagieren die Staaten unterschiedlich. In Deutschland zum Beispiel haben seit 2004 Familiengerichte in Einzelfällen angeordnet, dass minderjährige Mädchen nicht mit auf Reisen in die Herkunftsländer genommen werden dürfen, weil sie dort der realistischen Gefahr der Genitalverstümmelung mit ihren schwerwiegenden Folgen ausgesetzt sein würden.
2013 wurde in Deutschland auch ein eigener Straftatbestand Genitalverstümmelung geschaffen. Doch für die Täter ist das Risiko der Strafverfolgung sehr gering. Denn die Tat wird im Geheimen ausgeführt, die Spuren bleiben Außenstehenden verborgen und den kindlichen oder jugendlichen Opfern wird eingeschärft, mit niemandem darüber zu sprechen. Es gibt zum Beispiel auch keine bundesweit verpflichtenden Kinder-Vorsorgeuntersuchungen, bei denen die Folgen ans Licht kommen würden. Auch existiert keine ärztliche Meldepflicht.
Ganz anders in Frankreich, wo pädagogisches und medizinisches Personal verpflichtet ist, diese schwere Form der Kindesmisshandlung den Behörden zu melden. Bereits seit 1991 wird dort auch das Strafrecht konsequent angewendet. Aufsehen erregte 1994 ein Fall, den die damals 18-jährige Mariatou Koita ins Rollen brachte. Als sie die Verstümmelung der jüngeren Schwester entdeckte, erstattete sie Anzeige. Die anstiftende Mutter und die ausführende Täterin mussten sich vor dem höchsten Strafgericht verantworten und wurden verurteilt. Dieser Fall war ein Einschnitt ins öffentliche Bewusstsein, denn lange Zeit wurde die Genitalverstümmelung unter dem Deckmantel kultureller Eigenheit toleriert.
„Der Tag wird kommen, da werden die Töchter aufbegehren und ihre Mütter verklagen. Und mit ihnen werden all jene auf der Anklagebank sitzen, die wegschauten, anstatt uns zu beschützen.“
Schutz und Hilfen in Deutschland
Als anerkannter Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe arbeiten wir mit Jugendämtern in konkreten Kinderschutzfällen zusammen. Häufig werden wir von Müttern aus den Herkunftsländern der Praktik konsultiert, die ihre Töchter schützen möchten. Oder es melden sich Kinderärztinnen und Frauenärztinnen bei uns, die in ihrer Praxis eine betroffene Patientin betreuen oder sich um ein Kind sorgen.
Wir sind Ansprechpartner, wenn es um präventiven Kinderschutz oder konkrete Hilfen für Betroffene geht. Daneben bilden wir Fachkräfte aus pädagogischen und medizinischen Berufen, der Sozialen Arbeit sowie Ämtern und Behörden zum Thema fort.
Unsere Präventionsbroschüre "Ihr SCHUTZ bist DU" bietet einen leichten Einstieg in diese Problematik und steht zum Download oder als gedruckte Version bereit.
Handlungsempfehlung "Ihr SCHUTZ bist DU" (Broschüre PDF)
Tabelle "Gefährdete und betroffene Mädchen und Frauen in Deutschland 2022" (PNG)