Auch die
taz greift den ersten Prozess, der seit April 2014 in Großbritannien wegen - vermeintlicher -
Genitalverstümmelung geführt wird, auf. Statt aber im Artikel darzulegen, warum es in Großbritannien trotz strenger Gesetzgebung seit 1985 bislang keine einzige Anklage gab, verliert sich der Auslandskorrespondent Großbritannien der taz in sprachlicher Verharmlosung und ist inhaltlich von der Thematik offenbar komplett überfordert.
Die
Female Genital Mutilation (
FGM) steht in Großbritannien bereits seit 1985
unter hoher Strafandrohung (nämlich bis zu 14 Jahren Gefängnis), aber bislang kam es zu keiner einzigen Anklage. Das ist deshalb erstaunlich, weil Großbritannien zu den europäischen Ländern mit der höchsten Verbreitungsrate zählt. Die Praktik wird in den migrantischen Gemeinden ungemindert fortgeführt, trotz Gesetzgebung und Aufklärungskampagnen. Insbesondere die somalische Community hat sich in den vergangenen Jahrzehnten den Ruf erworben, resistent gegen Aufklärung und Gesetze zu sein: Die Mädchen werden für die Tat ins Herkunftsland gebracht, von extra eingeflogenen Verstümmlerinnen auf dem häuslichen Küchentisch verstümmelt oder es wird (teils erfolgreich) versucht, Mediziner für diesen Auftrag zu rekrutieren. 2012 hat die Sunday Times bei verdeckten Ermittlungen
mehrere Ärzte gefilmt, die angeboten haben, Genitalverstümmelungen durchzuführen.
Im ersten Fall gerichtlichen Fall sitzen aber weder eine anstiftende Familie noch eine traditionelle Verstümmlerin auf der Anklagebank. Vielmehr hat die Staatsanwaltschaft zwei Ärzte angeklagt, die einer somalischen Patientin nach der Entbindung die Vagina (wohl unstreitig) wieder verschlossen haben. Die junge Frau war, wie
bei 98 Prozent aller somalischen Mädchen üblich, bereits
infibuliert, das heißt, man hatte ihr
Klitoris, innere sowie äußere Schmalippen weggeschnitten und die Wunde anschließend bis auf eine wenige Millimeter kleine Öffnung vernäht - zu sehen ist dann nur noch eine fast komplett geschlossene Narbenfläche statt einer Vulva. Vaginale Untersuchungen sind so nicht möglich und schon gar keine vaginale Geburt. Daher wurde die Patientin in einer Londoner Klinik defibuliert, also operativ geöffnet. Nach der Entbindung wünschen viele Patientinnen, dass die Öffnung wieder so eng verschlossen wird wie zuvor, um insbesondere den Wünschen ihrer Ehemänner zu entsprechen. Die Patientin zu refibulieren, widerspricht allerdings der Medizinethik und wird zum Beispiel von der Bundsärztekammer kritisch gesehen:
"Verlangen Frauen mit
Infibulation nach erfolgter Aufklärung die Wiederherstellung des körperlichen Zustandes wie vor der Geburt, muss der Arzt die Behandlung dann ablehnen, wenn diese erkennbar zu einer gesundheitlichen Gefährdung der Frau führen würde, da dies ebenso wie eine Infibulation eine gefährliche Körperverletzung darstellt.
In der Verhandlung wird nun unter anderem geklärt, ob das Wiederverschließen der Wunde als Verstümmelung gewertet werden kann. Wie auch immer der Prozess ausgehen mag, wird es in britischen Kliniken wohl gängige Praxis bleiben, die Frauen nach der Entbindung wieder zuzunähen.
Schlimm genug, dass der taz-Redakteur sich in eklatanter Verharmlosung ergeht ("Beschneidung von Frauen", "Frauen mit beschnittenen Genitalien", "Mädchenbeschneidung" etc.) - ob aus Ignoranz oder dem verfehlten Wunsch nach Anpassung an die Wünsche einer einzelnen Aktivistin bleibt wohl unklar). Klar ist aber, dass die Verwendung beschönigender Begriffe dem Kampf gegen dieses Verbrechen abträglich ist. Es wäre ein Leichtes für sämtliche Medien, bei der Berichterstattung durchgängig diejenigen Begriffe zu verwenden, die der Praktik gerecht werden (nämlich "Genitalverstümmelung" und "verstümmelte Genitalien") und damit sowohl den Forderungen der afrikanischen Aktivisten Rechnung zu tragen als auch den Opfern Respekt zu zollen (siehe dazu Bagatellisierung durch Sprache).